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Taiwan kennt man hierzulande als Hightech-Insel, die berühmt ist für ihre Night Markets und Wolkenkratzer. Und natürlich für die Mikrochips. Aber jenseits der Städte findet sich ein Taiwan, das fast niemand auf dem Radar hat: Ein Taiwan der Geschichten, der Ahnen, der Farben – und Menschen, die stolz sind auf ihre Wurzeln. Wenn du das nächste Mal Taiwan auf der Karte siehst, denk daran, dass dort 16 indigene Stämme leben. Ihre Welt wird dein Bild von der Insel für immer verändern.

Die Rukai zeigen dir, wie Tradition im Hier und Jetzt funktioniert

Wutai: Ein Dorf zwischen Nebel, Bergen – und Porsche Cayenne.

Die Strasse windet sich durch den Wald, der Nebel hängt tief – und plötzlich taucht Wutai auf. Ein Dorf, das aussieht wie gemalt: Schieferhäuser vor Bergpanorama. Und mittendrin Menschen, die ihre Traditionen leben, ohne die Moderne abzulehnen. Hier findest du das ursprüngliche Taiwan. Touris? Fehlanzeige.

Zwischen Chief-Familie und Business-Class

Zuljezulje Tutalimaw ist Enkelin des weiblichen Rukai-Chiefs. In der Stadt führt sie mit ihrem Mann eine erfolgreiche Hirseschnaps-Marke und fährt Porsche Cayenne. Doch sobald sie in Wutai ankommt, ist sie wieder Teil des traditionellen Systems: Frauen sprechen nicht direkt mit Männern, ein Helfer trägt Einkäufe und die Chief-Familie wird überall respektiert. Was sie sagt, gilt. Hier prallen zwei Welten aufeinander – und verschmelzen irgendwie miteinander.

Tradition zum Anfassen

Im Haus ihrer Grossmutter lagern Kleider, die bis zu 30 Kilo wiegen und bis zu 8.000 Dollar wert sind. Jedes Jahr werden sie bei Ritualen getragen – etwa beim „Übergang zum Frausein“: Mädchen schwingen bei diesen Festlichkeiten auf hohen Schaukeln, immer mit einem Lächeln. Jungen hingegen werden durch die Jagd zu Männern – mit selbstgebauten Waffen. Alles andere als ein risikofreies Unterfangen. Es ist schon eine andere Welt hier, wo die Traditionen auch in der modernen Zeit dominieren.

Die Bunun beweisen dir, wie lebendig eine Kultur sein kann

Bei den Bunun verschmilzt Moderne und Tradition – auch bei der jungen Generation.

Ein paar Stunden nördlich beginnt das Land der Bunun. Hier lebt Tudai Pakisan – Kaffeeproduzent, Traditionshüter, Geschichtenerzähler. Hier oben, weit weg vom Meer hat er sich sein kleines Stück Paradies aufgebaut, Kaffeeplantagen und Rösterei inklusive. Gleich fünf Sorten der edlen Geisha-Bohne baut er an. Da die Bienen in dieser Region fehlen, werden die Pflanzen von Ameisen bestäubt. Auch Tudai Pakisan zeigt, wie der Spagat zwischen Moderne und Tradition gelingen kann. Die Kaffeerösterei ist längst auf möglichen Tourismus ausgerichtet.

Ein Kalender, zwei Welten

Tudai Pakisan ist Bunun durch und durch und lebt streng nach den Zeichen seiner Kultur. Die Bunun nutzen einen uralten Mondkalender für Aussaat und Ernte – gleichzeitig aber auch den staatlichen. Dazu kommen spirituelle Zeichen, die den Alltag lenken: Wenn ein Bunun von einem Vogel träumt, wird dies als Signal gedeutet, dass es Zeit ist für die Jagd. Tritt ein Bunun aus der Türe und ein Vogel sitzt rechts des Hauses, oder fliegt von rechts kommend, kann es losgehen. Sitzt der Vogel links, wird nicht gejagt. Niesen am Morgen? Auch das ist ein Zeichen, dass die Jagd gestrichen werden soll.

Ein Volk zwischen Abwanderung und Comeback

Viele junge Bunun sind irgendwann in die Städte gezogen. Doch immer mehr kommen zurück – und bringen neue Energie mit. In den Schulen werden die alten Sprachen wieder gelehrt und es gibt sogar speziellen Brauchtumsunterricht. In der Freizeit lernen die Jungen traditionelle Tänze und erst kürzlich wurde die lokale Kulturgruppe für eine Darbietung in Thailand gebucht. Tudai Pakisan strahlt, wenn er davon erzählt: Die Kultur lebt – und wie.

Die Sediq öffnen dir eine spirituelle Welt, die unter die Haut geht

Auch heute noch wird das traditionelle Handwerk gepflegt. Wie hier bei den Sediq.

Östlich, im grünen Hügelland, leben die Sediq – ein Volk, das Tradition mit einer tiefen Spiritualität verbindet. Ihr zentraler Glaube: Am Ende des Lebens muss jede Person die Regenbogenbrücke überqueren. War das Leben rein, hält sie. War es das nicht – wartet der Krebsgott. Vielleicht wirken die Menschen hier so ausgeglichen, weil sie sich der Regenbogenbrücke bewusst sind und daher nicht einmal fluchen. Ist halt zu riskant. Du weisst schon, Krebsgott und so.

Die Sediq teilen ihre Tradition über Generationen hinweg.

Ein Generationentreff, der die Kultur rettet

In einer Art Dorfzentrum arbeiten die Ältesten an traditioneller Kleidung, Taschen, Schuhen. Neben ihnen: die jungen Sediq, die helfen, lernen, zuhören. Es ist ein Kreis, der Kultur weitergibt und gleichzeitig Einkommen schafft. Die Produkte verkaufen sich mittlerweile in ganz Taiwan. Der nächste Schritt wäre der internationale Markt. Dafür sind die Sediq dann aber doch zu traditionell. Zumindest noch.

Stefan Tschumi

Als Fotograf und Videoproduzent suche ich nach rund um den Globus nach bewegenden Geschichten von Menschen, Kulturen und Orten.

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