Am 17. Mai trägt Norwegen nicht nur seine schönsten Trachten, sondern auch sein Herz auf der Zunge. An diesem Tag feiert das Land seine Verfassung von 1814 – und mit ihr Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaft. Es ist ein Fest der Kinder, der Farben, der Musik. Und: der kulinarischen Eskalation.
Für mich war es diesmal auch ein ganz besonderer 17. Mai, weil mich eine ganz besondere Person das erste Mal nach Norwegen begleitete. So konnte ich auch meine Heimat und dessen sonderliche Traditionen aus den Augen meines Partners sehen und erleben – und sah das ein oder andere, was mir bisher nicht aufgefallen war.

Ein Tag voller Rituale – und süsser Ausnahmen
Unser Tag begann stilvoll im Radisson Blu Plaza in Oslo – mit einem üppigen 17. Mai-Frühstück, wie es sich gehört. Neben frischem Brot, Rührei, Lachs und Erdbeeren gab es auch feine Feiertagstorte und die typisch norwegische Kransekake – ein Turm aus Mandeln, Puderzucker und Stolz. Geschmückt war der Raum mit grossen und kleinen Flaggen und kleinen Blumensträusschen in den Farben der norwegischen Flagge. Meine Landsleute zeigen am 17. Mai richtig Flagge. Auch wir trugen Dunkelblau, die norwegischen 17. Mai Orden und eine kleine Flagge (die wir dann später den Kindern in München als Mitbringsel schenkten).

Danach zog es uns in die Innenstadt, um das „Barnetoget“, den Kinderumzug, zu erleben. Dieses Jahr marschierten allein in Oslo 107 Schulen vom historischen Akershus Festning bis zum modernen Aker Brygge. Mein Onkel, den wir zufällig trafen, hatte sich den Plan ausgedruckt, so konnten wir seinen Enkelkindern auch freudig zuwinken, als sie Stolz an uns vorbeiliefen.
Ein eindrucksvolles Bild: Kinder in Tracht, begleitet von Blasmusik (ihrem eigenen Skolekorps) und jubelnden Zuschauenden, mit Norwegen-Flaggen in der Hand. Auch die Touristen jubelten den Kindern ein “Hipp, Hipp Hurra!” zu, die Busse zeigten keine Liniennummer, sondern ein “Gratulerer med dagen!”, mit einem Herz verziert. Das Land steht für ihre Kinder still und schenkt ihnen alle Aufmerksamkeit.

Königlicher Applaus und kindliche Freiheit
Ein bewegender Moment für Gross und Klein: Die gesamte norwegische Königsfamilie steht stundenlang auf dem Balkon des Schlosses und winkt wirklich jedem einzelnen Kind zu. Es ist mehr als eine Geste – es ist ein Versprechen. Und während Erwachsene vielleicht ein paar Tränen verdrücken, rufen Kinder begeistert: „Der König hat mir gewunken!“ – “Kongen så meg og vinkte til meg!“
Für sie beginnt jetzt der süsseste Teil des Tages: so viele Hotdogs (pølser i brød), Glace (iiiis), Zuckerwatte und norwegische Waffeln, wie sie möchten. Einmal im Jahr ohne Limit – und alle machen mit. Kein Wunder, dass der 17. Mai für norwegische Kinder fast noch schöner ist als Weihnachten. Mein in München gebliebener Sohn hatte frühmorgens auch von mir die Nachricht bekommen, seinen Vater an diese Tradition zu erinnern – Herkunft endet ja nicht im Herkunftsland.
Spiele, Gemeinschaft – und ein festliches Mahl
Nach dem Umzug bringen Busse die Kinder zurück in die Schulen oder Wohnquartiere. Dort warten Spiele wie Eierlaufen, Kartoffelsackhüpfen und Dosenwerfen – einfache Freuden, die Gemeinschaft schaffen. Denn gefeiert werden von allen Menschen, die in Norwegen leben, unabhängig von Herkunft oder Sprache. Das berührt mich sehr, zu sehen, dass wirklich alle diesen Tag lieben. Wir nahmen dann noch ein Lunch in der neuen in-Location Vippa (leckeres internationales Essen) zu uns, mit Blick auf den Fjord.

Ein Abend in Vålerenga – ganz wie früher
Unser persönliches 17. Mai-Dinner fand dieses Jahr im Stadtteil Vålerenga statt, einem der ältesten und charmantesten Teile Oslos – bei meinem Onkel und seiner Frau. Es gab genau das, was man sich als Norweger:in an diesem Tag wünscht: frischen Lachs mit Sandefjordsmør, dieser sahnig-buttrigen Sauce mit Zitrusnote, und zum Dessert: Vanilleeis mit norwegischen Erdbeeren.
Auf dem Balkon, umgeben von Familie und dem Blick auf die historischen Gassen, hörten wir norwegische Lieder – gesungen, nicht abgespielt. Besonders berührend: das für den Stadtteil ikonische Lied „Vålerenga Kjerke“, das bis heute Identität und Stolz transportiert. Da bleibt kein Auge trocken, wenn alle über das Feuer in der Kirche singen, und als die alte Kirche, den Himmel zum Dach bekam.

Ein musikalisches Finale auf See
Und als wäre das nicht genug, klang der Tag mit einem besonderen Höhepunkt aus: dem Eurovision-Finale auf dem Oslofjord. Dieses Jahr fiel der 17. Mai zum ersten Mal mit dem ESC auf denselben Tag. Norwegen belegte den 18. Platz, aber die Stimmung an Bord der MS Bjørvika hätte nicht besser sein können. Zwischen rot-blau-weiss geschmückten Decks, Musik, Tanz und lachenden Menschen wurde mir klar: Der 17. Mai endet nicht mit dem Sonnenuntergang – sondern wird zu einem Clubbesuch auf See.
Norwegens 17. Mai ist ein Fest, das man fühlen muss. Es ist kein Feiertag, den man einfach „begeht“. Man erlebt ihn. Mit allen Sinnen, mit allem, was man ist. Als Norwegerin war ich tief berührt, ihn dieses Jahr durch die Augen meines Partners neu zu entdecken. Meine Angst er könne diesen etwas “ausartenden Patriotismus” befremdlich finden, wurde nicht bestätigt. Er betonte die Herzlichkeit und Liebe zum Land und trat allen sehr offen gegenüber. Und ich bin überzeugt: Wer einmal einen 17. Mai in Norwegen erlebt hat, nimmt ein Stück davon für immer mit nach Hause. Gratulerer med dagen – 17. Mai!