Ich war eine Camping-Jungfrau. Das hat gute Gründe: Ich liebe es, mir in den Restaurants von Stockholm ein feines Znacht zu gönnen oder mich in einem Tiny Haus in den Bergen Kirgistans zu verstecken. Draussen, ja, aber mit Komfort. Und dann schockierte mein Freund mich mit einer Aussage, die mich zutiefst unter Druck setzte: Er will das erste Mal mit mir campen.
26 glückliche Jahre habe ich mich davor drücken können, mit einem Wohnmobil umgeben von Mücken und dem Odeur der Campingtoilette durch die Pampa zu düsen. Das höchste der Gefühle war eine Übernachtung im Aldi-Zelt im Garten. Spoiler: Ich bin nachts zurück ins kuschlig warme Bett gekrochen, weil es zu gruselig war. Zu meiner Verteidigung muss man sagen: Ich war 6 Jahre alt. Doch nun zeigte mein Freund mir – er meint es ernst mit uns. Er will nicht länger warten, er will campen. Nachdem wir 3’650 Franken leichter waren (entspricht circa 175 Franken pro Nacht), war klar: Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Augen zu und durch
Mit schwitzenden Händen nahm ich den Autoschlüssel bei der Mietwagenverleihung in San Francisco entgegen. Vor mir ein riesiges Monster, das für die nächsten drei Wochen mein zu Hause sein sollte. Unfassbar, dass man ohne zusätzlichen Lastwagenführerschein so ein Teil fahren darf. Kaum war ich drin, merkte ich: nein, es ist ein winziges Monster. Ich bin 1,60 m gross, also nicht gerade riesig. Wie kann es sein, dass ich mir überall den Kopf anstosse?

Ich drückte also meinem Freund den Autoschlüssel in die Hand und versuchte, nicht so auszusehen, als ob ich mir insgeheim gerade wünschen würde, dass wir in einem schönen Boutique-Hotel in den Bergen sind. Wenigstens hatte ich im Voraus eine Roadtrip-Playlist bei Spotify erstellt. Die Klänge von Taylor Swift und Glass Animals würden mich auf der gruseligen Abenteuerreise in eine Trance wiegen und mir ein Stück Geborgenheit geben. «Zu einem Roadtrip in den USA gehört Country», erklärte mein Freund mir und wechselte von der Playlist auf den lokalen Radiosender.
Die Lieder handelten von verrückten schönen Frauen, Tequila, Whiskey, Bier und – frittiertem Hühnchen? Wer meinte, Rap sei frauenfeindlich, hat wohl noch nie auf den Text von Delia’s Gone geachtet. Ich schluckte meine Gefühle herunter, schliesslich war ich in den Ferien. Mit dem, was in den darauf kommenden Tagen passierte, hatte ich nicht gerechnet.
Im freien Fall ohne To-dos
Es geschah das, was für das erste Mal (campen) extrem wichtig ist: Ich blickte über die Weiten der USA und entspannte mich. Meine einzigen To-dos für die Ferien, den Camper abzuholen und einzukaufen, waren abgehakt. Für eine kurze Sekunde packte mich die Panik. Mein Gehirn versuchte angestrengt, nach dem nächsten Task zu greifen, nach einem wichtigen Termin, einem Halt in Form einer Aufgabe – doch da war nichts, während wir die endlos gerade Strasse entlang fuhren.

Nicht mal Handyempfang. Zumindest dann nicht, wenn ich in der Wüste neben dem Wohnwagen mein Buch aufschlug oder mitten im Yellowstone, in nächster Nähe zu Bären und Wölfen, frühstückte. Stattdessen war ich umgeben von strahlenden Sternen, purer Natur und Ruhe. In der Wüste konnte ich die Stille kaum aushalten, immer wieder musste ich lachen, weil es so surreal ist, nichts zu hören. Es fühlte sich an wie ein Tinnitus, nur ohne Tinnitus. Mein Akku war leer, aber zum ersten Mal spielt das keine Rolle. Mir gelang etwas, das ich nach drei Jahren Therapie immer noch nur selten schaffe: Ich kam an im Hier und Jetzt.

Mein inneres Kind beim Campen
Das Kochen im Camper wurde zu meiner Me-Time. Und zur Geduldsprobe. Mein inneres Kind wurde zur Forschenden. Die drei Wochen nutzte ich für ein naturwissenschaftliches Experiment, indem ich die Frage zu beantworten versuchte: Auf welche Art und Weise kocht Wasser auf dem Gasherd am schnellsten? Auch Expert:innen sind sich in diesem Fall nicht ganz einig. Meine Eltern (beide haben Physik studiert) stritten sich im Familien-Chat darüber, ob ein kleiner Topf mit Deckel oder ein grosser Topf mit der gleichen Menge Wasser schneller kocht. Es hänge wohl von der Grösse der Glasplatte ab. Ich bekam die Diskussion eh erst einen Tag später mit, hatte ja kein Netz.
Weniger ist mehr und mehr ist zu viel
Ich liebe es, zu kochen. Aufwendig, mit vielen Zutaten und möglichst lange lasse ich ein Gericht in meinem Creuset-Topf schmoren. Dabei läuft meistens der Fernseher oder irgendein Podcast. Doch beim Campen ist einfach die Schiebetür des Wagens offen, mit einer spektakulären Aussicht auf Berge, Canyons oder Flüsse. Ich reduzierte mich auf das Wesentliche. Wegen der Bären in den Nationalparks musste ich möglichst wenig Abfall produzieren. Das führte dazu, dass ich simpel kochte. Mal gab es Rührei, mal gab es Pasta und mal gab es Bratkartoffeln. Manchmal gab es Bratkartoffeln mit Rührei und dazu Pasta. Es entstanden regelrecht magische Momente: Draussen hielt jedes noch so schlichte Gericht mit Sterneküche mit.

Die grösste Angst beim Campen: Die Nachbarn
Meine grösste Angst vor dem Campen bezog sich weder auf die Wildtiere, noch auf schlechtes Wetter. Ich hatte Angst davor, dass Karen und Rolf mich fragen könnten, wohin die Reise geht. Oder, noch schlimmer, dass sie mich zu einer Runde Wikinger Schach einladen würden. Aber: ich war doch überrascht, dass man beim Campen die meiste Zeit in Ruhe gelassen wird. Spätestens nach meinen einsilbigen Antworten auf Karens Frage, welche Tiere ich im Nationalpark zu sehen hoffe, war das Gespräch beendet. “Alle”, hatte ich gesagt.
Und doch lebten am Campingplatz die Leute eher nach dem Motto: Leben und leben lassen. Viele Plätze boten durch Bäume Sichtschutz und Privatsphäre. Gleichzeitig war ein Campingstuhl der perfekt getarnte Ort für Peoplewatching. Denn was sonst sollte man tun, wenn man nichts zu tun hatte. Ich dachte mir Geschichten für meine Nachbarn aus. Wie lange sind sie zusammen? Haben sie beide gleich viel Freude am Campen? Wäre er jetzt lieber im All-inclusive Resort? Mein neues Hobby war unterhaltsamer als Instagram. Hey, ihr müsst mich nicht verurteilen: In sozialen Medien machen wir ja nichts anderes, als uns genau diese Fragen zu stellen.

Fazit einer Jungfrau
Nach drei Wochen campen war ich traurig, als wir das Wohnmobil abgeben mussten. Neidisch blickte ich zu den Familien, die jetzt ihre Reise beginnen würden und ihren Camper abholten. Mein Blick fiel auf die Teenager-Tochter, die so aussah, als ob sie campen hasst. Am liebsten würde ich ihr sagen, dass es mir am Anfang auch so ergangen ist. Und dass ich gerne mit ihr tauschen würde. Dass die Ruhe der Natur ihr guttun würde, dass sie auf Instagram nichts verpasste. Dass sie sich unter der Milchstrasse beim Regen aus Sternschnuppen etwas wünschen könnte. Dass Kaffee aus der French Press besser schmeckt, als Iced Matcha Latte. Dass Country irgendwann überraschend gut klingen würde. Dass sie sich noch verfluchen wird, einen ganzen Koffer gepackt zu haben, weil sie sowieso nur im gleichen Shirt herumrennen wird. Aber das wäre ein Spoiler. Diese Reise muss jeder selbst machen.