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Lissabon beginnt nicht mit einem Knall. Sie beginnt mit einem leichten Ziehen.
Vielleicht ist es das Licht, das von den Hauswänden zurückstrahlt.
Vielleicht das Klappern eines Trams in der Ferne. Oder einfach das Gefühl, dass man angekommen ist – nicht nur örtlich, sondern innerlich.

Unterwegs in Bairro Alto, wo die Sonne langsam aufgeht (c) Pixabay

Unsere Zeit beginnt auf einem Dach. Die Sonne steigt über die Ziegelsteine von Bairro Alto, wo das Leben in Schichten lebt – oben der Himmel, unten das Kopfsteinpflaster, dazwischen Cafés, Fassaden und Stimmen, die sich zwischen Fenstern verfangen. Das Frühstück im Bairro Alto Hotel ist leise, mühelos. Der Blick reicht über Schornsteine hinweg bis zum glitzernden Tejo, der weit unten durch die Stadt fliesst wie ein silbernes Versprechen.

Bairro Alto – ein Quartier, das 500 Jahre Geschichten trägt. Einst Heimat der ersten Druckereien, dann Zufluchtsort für Journalisten, Dichter und Lebenskünstler. Tagsüber schläft es fast. Die Fensterläden sind halb geschlossen, der Schatten verdunkelt die Gassen. Nachts aber wird es lebendig. Dann leuchtet jede Tür wie eine Einladung, jedes Stimmengewirr klingt wie ein Gespräch, das man gerade verpasst hat.

Ihr volles Potenzial entfaltet Lissabon nach Einbruch der Dunkelheit (c) Unsplash

Wir lassen uns treiben. Lissabon lebt vertikal. Wer sie verstehen will, muss steigen. Und sich tragen lassen – von Maschinen, die wie Erinnerungen arbeiten. Der Ascensor da Glória rattert den Hügel hinauf, sein Inneres aus Holz und Messing, als wäre es nie renoviert worden. Die kleinen Mosaike unter unseren Füssen, Schwarz auf Weiss, erzählen Geschichten in Mustern, wie Wellen oder Windrosen, eingebrannt in den Bürgersteig.

Ein paar Kurven später: der Elevador de Santa Justa, ein eiserner Traum zwischen den Fassaden, ein Turm, der mehr Geste als Gebäude ist. Von oben: Blick auf Terrakottadächer, auf Plätze, auf das langsame Pulsieren der Stadt. Unten dampft der Espresso.

Und dann kommt es – das Tram 28. Ein knallgelbes Relikt, das sich durch Alfama schlängelt wie ein verspielter Gedanke. Tagsüber voll, verwundert, beäugt. Nachts aber… nachts ist es pure Poesie. Es rast, scheppert, quietscht – nicht weil es muss, sondern weil es kann. In seinen Fenstern spiegeln sich Laternen. Drinnen sitzen Menschen, die nichts sagen. Nur schauen. So wie wir.

Die Strassen sind voller Farben. Azulejos, bemalt in tiefem Blau, blassem Türkis, manchmal in Gold. Kein Haus gleicht dem anderen, und doch gehört alles zusammen. Wie ein Puzzle, das sich selbst vergessen hat.

Später: Belém. Der Geruch von Zimt liegt in der Luft. Menschen stehen Schlange – geduldig, lächelnd. Die Pastéis de Belém kommen heiss aus dem Ofen. Aussen knusprig, innen cremig. Man isst sie auf der Mauer, schaut auf den Fluss, und versteht: Das hier ist kein Gebäck. Es ist ein Gefühl.

Der Spaziergang von dort aus ist lang und leicht. Am Mosteiro dos Jerónimos vorbei, dessen Bögen wie Spitzen wirken. An der Rosa dos Ventos, dem Windkompass im Boden, wo Kinder mit den Zehen auf Himmelsrichtungen tanzen. Und dann, ganz am Ende, das Padrão dos Descobrimentos – das Denkmal der Entdeckungen, das sich wie ein Schiff in den Tejo neigt. Man bleibt davor stehen, wortlos. Nicht aus Ehrfurcht, sondern aus Zeitlosigkeit.

Gegenüber duckt sich das MAAT, wellenförmig, futuristisch, doch seltsam organisch. Drinnen flackern Videoinstallationen und es klingen digitale Klangräume, draussen liegen Menschen auf dem Dach und schauen nicht auf ihr Handy. Sondern auf den Fluss. Oder gar nichts. Und das ist genug.

Wir nehmen die Stadt wieder auf – in einem anderen Teil. Die LX Factory ist ein raues, offenes, rebellisches Gelände. Graffiti und Galerien, Buchhandlungen und Bars. In einem kleinen Innenhof: Brigadeirando. Eine Oase. Hier arbeiten brasilianische Frauen aus Bahia. Sie sprechen mit Akzent und Augen. Ihre Hände formen kleine Kugeln aus Schokolade – Brigadeiros, zart, bittersüss, tief. So, wie ich sie von meiner brasilianischen Verwandtschaft kenne. Klassisch. Pistazie mit Salz. Chili und Kakao. Espresso-Karamell. Wir nehmen sie mit wie kleine Geheimnisse in Papierhüllen.

«Wir machen keine Süssigkeiten», sagt die Frau an der Theke strahlend. «Wir machen kleine Pausen vom Leben.» Und sie hat recht.

Der Abend gehört Alma. Kein Lärm, kein Chichi. Nur Stoffservietten, ein schwebendes Licht, und der Geruch von Feuer. Henrique Sá Pessoa kommt kurz an den Tisch. Er sagt leise: „Ich will nicht beeindrucken. Ich will berühren.“ Und dann berührt er. Mit Oktopus, der wie Rauch schmeckt. Mit Lamm, das flüstert. Mit Desserts, die aussehen wie Steine, aber innen wie warme Erinnerungen zerfallen.

An einem anderen Abend, fast zufällig, landen wir im Ofício. Hier geht alles schneller, jünger, vibrierender. Diogo Figueiredo, der Gründer, will ein neues Paradigma:
„Wir verbinden Menschen, Räume, Ideen – und servieren sie auf Tellern.“ Und tatsächlich. Die Küche ist mutig. Yuzu auf Thunfisch. Aubergine mit Miso. Gerichte wie Sätze, die man noch lange nachklingen lässt.

Und irgendwann – spät in der Nacht – wieder diese Dachterrasse. Die Stadt liegt unter uns wie ein geöffnetes Buch. Eine letzte Möwe kreist. Der Tejo fliesst still. Und in uns ist nichts als Dankbarkeit.

Lissabon ist kein Ziel. Sie ist ein Zustand.
Ein Ort, an dem das Tempo sinkt und die Wahrnehmung steigt.
Eine Stadt, die nicht glänzt – sondern glüht.
Nicht spricht – sondern singt. Und wenn du zurückkommst – wirst du merken:
Sie hat dich nie ganz gehen lassen

Eine Stadt, die nicht glänzt – sondern glüht, meint Stephan (c) Unsplash
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Günther LämmererGünther Lämmerer1. Juni 2025