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Fünf Millionen Besucher pro Jahr steuern mit Tunnelblick den Zion Nationalpark an – und verpassen echte Schätze abseits der Hauptstrasse. Die Mormonen-Stadt St. George ist das Einfallstor nach Zion – nur eine Fahrstunde entfernt. Doch es lohnt sich, mehr Zeit einzurechnen – und den Blinker bei diesen wenig bekannten Attraktionen zu stellen.

Harrisburg: niemand zu Hause?

Harrisburg wurde mehrfach besiedelt – und wieder aufgegeben. Heuschreckenplagen, Indianerüberfälle und Überschwemmungen: es war einfach nicht mehr auszuhalten in Harrisburg! Das restaurierte Orson B. Adams Haus gibt einen authentischen Einblick in die Architektur jener entbehrungsreichen Tage. Doch wenn man die Ruinen durchstreift, dann fällt auf, dass sich ein neuer Trailerpark gebildet hat. Camper, die weiterführen wollen, was die Gründerväter angefangen haben. Vielleicht hält Harrisburg noch etwas länger durch.

Vor dem Zion Nationalpark wartet verlassenes Niemandsland und atemberaubende Landschaften für Wanderer und Outdoorfans.

Red Cliffs: versteckter Zugang

Wer auf den Old Highway 91 abfährt, um einen kurzen Blick auf Harrisburg zu riskieren, dem wird auf der anderen Seite der Interstate-15 sofort ein rotes Felsmassiv auffallen. Damit hat man die Red Cliffs genau im Blick. Eine schmale Unterführung führt unter der Autostrasse durch (Vorsicht, grössere Wohnmobile passen nicht durch). Gleich dahinter stösst man auf Ruinen einer mexikanischen Hacienda, die nicht recht in die Besiedlungsgeschichte von Utah passen will. Kein Wunder – das sind die Überreste eines Filmklassikers: hier führte Gary Cooper 1958 in They Came to Cordura eine Kompanie Soldaten gegen den mexikanischen Revolutionär Pancho Villa. Wie schön, dass die Regierung den Pfad dorthin den Cordura Trail nennt! 

Die halbe Bevölkerung von Harrisburg half damals beim Bau mit. Hollywood pumpte immerhin eine halbe Million Dollar ins lokale Gewerbe. Anders als üblich, wurde das Filmset nach Drehschluss nicht eingerissen. Im Lauf der Jahre hat die Natur die Tricks der Set-Designer entblösst: Was wie robuste Mauern aussah, war in Wahrheit bemaltes Holz, Pflaster und Hühner-Draht. Der Star des Films, ein passionierter Entenjäger, verliebte sich in die Gegend. Kurz vor seinem Tod kehrte Gary Cooper zurück – zur letzten Entenjagd.

Handshake mit Dinosauriern

Vor 190 Millionen Jahren durchstreiften ganze andere Jäger die Red Cliffs: Dinosaurier hinterliessen ihre Fussspuren deutlich im Sandstein, die meisten drei Zehen gross. Hier kann man Theropoden die Hand schütteln – die passt genau in die ihre prähistorischen Abdrücke.

Die Fundstelle liegt am Trailhead des Red Reef Trail, ein moderater Wanderweg entlang eines kleinen Canyons. Das Gebiet ist eine Schatztruhe für Archäologie-Fans: neben den Dino-Tracks finden sich prähistorische Siedlungen der Anasazi, die ihre Felszeichnungen hinterlassen haben. 

Einmal einem Dinosaurier die Hand schütteln: in den Red Cliffs haben die prähistorischen Echsen ihre Signatur hinterlassen.

Warner Valley – ist die Ruhe selbst

Die Bewohner der Urzeit waren auch im Warner Valley heimisch: Sie hinterliessen 400 fossile Fussabdrücke aus der frühen Jurazeit! Die flache Wüste mit seinen roten Monolithen ist ein fast intimer Ort für Naturkundler, aber auch ideal für ein Off-Road-Abenteuer im ATV.  Die letzten Kilometer führen über unbefestigte Strassen, bei trockenem Wetter problemlos. Kaum besucht, aber den Abstecher wert.

Freut Hollywood und Wanderer: innerhalb von 30 Kilometern findet man Wüsten, Hochplateaus, Bergseen und sogar Sanddünen.

Grafton: Geburtsort der Legenden

Wir sind schon fast in Zion. In Rockville zweigt unauffällig die Grafton Road ab. Doch sie führt zur Geisterstadt. Das Besondere? Wer den richtigen Soundtrack summt, dem kommt sie gleich bekannt vor. Genau: der Welthit «Raindrops Keep Falling on My Head» wurde gespielt zur Filmsequenz, in der Paul Newman rückwärts Fahrrad fährt, um seine Freundin zu beeindrucken. Butch Cassidy and the Sundance Kid hat Kultstatus als erstes Buddy-Movie der Filmgeschichte, eine Bromance zwischen Newman und Robert Redford. Tatsächlich war es Redford, schon lange ein Einheimischer in Utah, der den Drehort empfahl. „Ich sah früh, dass diese Gegend grosses Potenzial fürs Filmemachen hat.“ 

Schon 1929 nutzte der erste Tonfilm In Old Arizona, der je im Freien gedreht wurde, die Kulisse. Zane Grey, der bekannte Westernautor, bestand bei Verfilmungen seiner Bücher darauf, dass an den Originalschauplätzen gedreht werden musste. 

Grafton ist unbewohnt, jedoch keine zerfallene Geisterstadt. Die robusten Blockhütten und Steinbauten wirken, als ob die Bewohner nur mal kurz weg sind. Die Mormonen, die sich 1859 ansiedelten, waren nicht vom Glück geküsst. Eine Flut des Virgin River, der in den Zion Canyon fliesst, schwemmte sie weg. Sie bauten sie wieder auf. Der sandige Boden war ungünstig für die Farmer. Dann dezimierten Indianerüberfälle ihre Zahl. Der Friedhof beim Dorfeingang erzählt eine traurige Geschichte. 1944 verliess der letzte Bewohner Grafton. Die Häuser sind darum so gut im Schuss, weil sich eine Stiftung der Erhaltung annimmt, was einen faszinierenden Einblick in die Pioniertage erlaubt.

Ein Monument wie ein Schachbrett

Während nun die Masse der Touristen in den Zion Canyon einfährt, biegen wir rechts auf den Zion Park Blvd ab. Ein paar Meilen nur, dann liegt auf der rechten Seite, direkt am Strassenrand, ein Steingebilde, dem man nicht von ungefähr den Namen Checkerboard Mesa verliehen hat: an ein Schachbrett erinnernd, war der Felsen markanter Drehort von Clint Eastwoods Kletterthriller The Eiger Sanction (1975). Eastwood, selbst schon amerikanisches Urgestein, nutzte die Struktur mit ihren horizontalen Linien zum Bergsteiger-Training für den Eiger. Hier hat die natürliche Erosion sich so künstlerisch wie in Bildhauer betätigt. Regisseur Eastwood nutzte zudem die Zion Lodge als Kulisse, die seither umgebaut wurde – den Swimming Pool aus dem Film suchte ich jedenfalls vergeblich.

Naturschönheit und Trainingground für Clint Eastwood zugleich: die Checkerboard Mesa.
Hintergrund-Wissen: Der Treck der Mormonen nach St. George

Vertrieben und verfolgt aufgrund ihrer Religion, zog die Gemeinschaft der Mormonen um 1850 gen Westen. Nach vielen Entbehrungen führte ihr spiritueller Leader Brigham Young den Planwagen-Treck 1.300 Meilen (ca. 2.000 Kilometer) bis nach Utah. Die Glaubensgemeinschaft liess sich in Salt Lake City nieder. Nachdem Brigham Young seinen Pionieren schon viel abverlangt hatte, fragte er einen kleinen Stosstrupp, nochmals 300 Meilen (ca. 483 Kilometer) südwestlich in unbewohnte Gebiet vorzudringen. In einem Talkessel, der von roten Felsen umschlossen ist, sollten sie eine Kolonie bilden: St. George. 

Diese Siedler sahen das Land vom Kutschbock aus, genauso wie es heute ein Autofahrer auf der Interstate 15 wahrnimmt: die Farben werden rot und röter, dann gibt es 40 Meilen (ca. 64 Kilometer) lang praktisch keine Vegetation mehr. Der erste Eindruck der 309 Familien von ihrer neuen Heimat dürfte also nicht gewesen sein, im Paradies angekommen zu sein. Sie mussten diesen Garten Eden urbar machen. Trotz der Wasserknappheit schufen sie eine aufblühende Gemeinde, die sie nach George. A Smith benannten. Der Mormone wusste das warme Klima für die passende Landwirtschaft zu nutzen (Mormonen nennen Glaubensbrüder und -schwestern „Saints“, also Heilige). Etwas despektierlicher nannte man ihn auch den „Kartoffel-Heiligen“, weil er den Gläubigen empfahl, die Erdäpfel gleich roh zu essen. Er liess robuste Baumwolle anbauen, was der Region den Nachnamen Dixie eintrug. St. George mauserte sich zu einer der schnellsten wachsenden Städte der USA. 

1877, im Jahr, in dem Brigham Young verstarb, feierten seine Gefolgsleute Aufrichte des ersten Mormonen-Tempels im Utah Territory – der markante weisse Tempel, der älteste noch genutzte der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzen Tage – ist nicht nur spirituelles Wahrzeichen, sondern auch beliebtes Fotomotiv in St. George. 

Von den 120‘000 Einwohnern zählen sich noch immer 68 Prozent zu den Mormonen. Bis heute prägt die Glaubensgemeinschaft das Stadtbild – doch auch moderne Galerien, Bars und das kultige Electric Theater zeigen, wie vielschichtig St. George geworden ist. 

Bildquellen: Roland Schäfli.

Roland Schäfli

Wenn der Abspann längst abgelaufen ist, fängt meine Reise als Filmjournalist an: Als Cinema Scout finde ich verlassene Drehorte und setze mich auf die Spuren von Kult-Filmern. Denn das Kino muss für Filmtouristen erst noch kartographiert werden!