Kambodscha ist ein Land, das in kürzester Zeit die unterschiedlichsten Emotionen in mir ausgelöst hat – von Staunen über tiefes Mitgefühl, Bewunderung und Entsetzen bis hin zu grosser Dankbarkeit. Das einfache Leben vor Ort hat mich begeistert und mir gezeigt, wie wenig es braucht, um wirklich glücklich zu sein. Während meiner Reise habe ich viele Eindrücke gesammelt, die mich zum Nachdenken gebracht und gleichzeitig inspiriert haben.
Im ersten Teil dieses Erlebnisberichts habe ich dich nach Siem Reap mitgenommen. In diesem Artikel dreht sich alles um meine wilden Erlebnisse auf der paradiesischen Insel Koh Rong.
Koh Rong
In Siem Reap steigen wir in den Bus. Zwölf Stunden Nachtfahrt auf einem «Doppelbett», das eher als übergrosses Kissen durchgeht. Halb liegend auf einer dünnen Matratze – optimiert für asiatische Körpergrössen – kuscheln wir uns durch die Nacht. Zum Glück sind wir zu zweit unterwegs, sonst müsste man sich dieses 1,20-Meter-Bett mit einer wildfremden Person teilen. Romantikfeeling à la Nachtbus – gratis dazu.
In Sihanoukville angekommen sind wir ehrlich gesagt einfach nur froh, direkt zum Hafen weiterzuziehen. Die Stadt selbst wirkt eher wie ein Zwischenstopp, den man am besten so schnell wie möglich überspringt. Unser Speedboat bringt uns auf die Insel Koh Rong an den Sok San Beach. Komischerweise steigt ausser uns niemand aus. Ein paar Fischerhütten, sonst nichts. Und doch: Das Meer glasklar, die Stimmung friedlich. Ein kleiner Geheimtipp? Vielleicht. Oder einfach nur der perfekte Ort, um mal richtig durchzuatmen.
Hinweis
Es gibt zwei Inseln, die Koh Rong heissen. Die grössere ist Koh Rong und die kleinere Koh Rong Sanloem. Auf den Booten ist jeweils nur Koh Rong angeschrieben. Man sollte sich also zweimal versichern, dass man das richtige Boot zur gewählten Insel nimmt.
Alle unter einem Dach
Mit unseren Rucksäcken vorne und hinten stapfen wir wie echte Backpacker den Strand entlang – auf der Suche nach einem Tuk-Tuk. Wir kommen irgendwo im Nirgendwo an an einer kleinen Holzhütte (eher Unterstand) an. Plötzlich taucht ein Mann hinter einem Baum auf und nimmt unsere Pässe fürs Check-In entgegen. Wo sind wir hier gelandet?
Die Aussicht: traumhaft. Weisser Sand, türkisblaues Meer – Postkartenparadies. Unsere Hütte? Eher weniger. Eine stickige Sauna ohne Klimaanlage, voller Mücken und Krabbeltiere, geduscht wird mit dem Eimer.
Dies scheint wohl der Inselstandard zu sein, denn viel bessere Angebote haben wir im Internet nicht gefunden. Ausser einem Partyhostel auf der anderen Seite der Insel. Dafür haben wir nur 14 Franken pro Nacht bezahlt und sind direkt an einem einsamen Traumstrand.



Am Nachmittag (ver)brutzeln wir in der Sonne und geniessen die absolute Robinson-Crusoe-Idylle. Kein Mensch weit und breit, kein Restaurant – nur unsere Holzhütte, die gleichzeitig Rezeption, Küche und Aufenthaltsraum ist. Wir wagen es und essen dort. Plötzlich kommt eine Frau zu mir und warnt mich, dass sich an meinem Fuss etwas bewegt. Ein riesiger Skorpion! Der Koch (vorheriger Receptionist) stürmt mit einer Grillzange aus der Hütte und entfernt das Tier. Auf meine Frage: „Is it dangerous?“ sagt er nur trocken: „Yes, sure.“
Am Abend sind nur noch wir und ein paar Freunde des Rezeptionisten da. Er fragt uns, ob wir leuchtendes Plankton sehen wollen. Wir sagen zu, ziehen die Badesachen an, um im Dunkeln zu baden. Wir kommen zurück und der Rezeptionist steht in nur in Unterhosen gekleidet vor uns und freut sich wie ein Kind. Kann dieser Tag noch absurder werden? Ist es eine gute Idee, auf einer einsamen Insel mit einem Mann in Unterhosen im Dunkeln baden zu gehen? Als wir dann dem Hotelbesitzer ins Wasser folgen, beginnt alles um uns herum zu leuchten. Neoluminiszierendes Plankton. Was für ein Nachtschwumm!
Zurück in unserer Hütte denken wir, der Tag ist vorbei. Doch dann steht ein Pferd in unserem Zimmer. Ja, ein echtes. Die Tür liess sich nicht abschliessen, und offenbar haben wilde Tiere hier freien Eintritt. Gerade hatten wir uns mit den Mücken arrangiert – jetzt müssen wir auch noch ein Pferd rauskomplimentieren. Abenteuerurlaub vom Feinsten.
Auszeit im Paradies
Wer hätte gedacht, dass unser Alleskönner – Hotellier, Koch, Schnorchel-Guide und Nachtwanderer – auch noch ein Frühstück direkt an den Liegestuhl zaubert? Heute steht nur eines auf dem Plan: sünele. Zwischendurch buchen wir Weiterreisen, beantragen Visa und organisieren Busse und Flüge – Bürotag unter Palmen. Ignoriert man das rustikale Hotelzimmer, ist es hier tatsächlich das reinste Paradies.
Am Nachmittag spazieren wir den Strand entlang bis ans andere Ende der Insel. Dort steht das einzige Gebäude, das wirklich wie ein Hotel aussieht – ein echtes Luxushotel. Auch hier: menschenleer. Zur Abwechslung essen wir im dortigen Restaurant, spielen Karten und geniessen den Sonnenuntergang. Danach waten wir im Schein unserer Taschenlampen zurück durch die Dunkelheit zu unserem einfachen, aber inzwischen liebgewonnenen Zuhause.




Am nächsten Morgen wachen wir mit drei Geckos im Bett auf. Zum Glück ist es schon hell. Beim mittlerweile vertrauten Hotelhelden (immer noch in Unterhosen) mieten wir einen uralten Roller. Rückspiegel? Fehlanzeige. Bremsen? Eher Deko. Der Tacho ist sowieso rein optisch. Abschliessen müssen wir ihn nicht – wer würde ihn auch klauen? Hauptsache, das Ding rollt. Über das einzige Strässchen der Insel (ohne Verkehr und ohne Autos) tuckern wir 25 Minuten Richtung Long Set Beach. Uns begegnet kein einziger Roller.
Der Strand ist enorm schön. Wir fühlen uns wie in einer anderen Welt. Wir können es nicht glauben, wie schön es ist, als wir Hängematten finden und die kommenden Stunden unter Palmen verbringen.
Auf dem Rückweg nehme ich mir vor: Jetzt oder nie – ich lerne Rollerfahren. Wo könnte man das besser als auf den ruhigen Wegen von Koh Rong? Statt im wilden Strassenverkehr Vietnams zu starten, ist diese autofreie Insel perfekt. Mit stolzen 15 km/h meistere ich den halbstündigen Rückweg. Aber hey, es macht richtig Spass! Grossstadtverkehr? Das trau ich mich noch nicht.
Auf zwei Rädern fahren wir dem orangefarbenen Horizont entgegen. Der Himmel wird rosarot, Palmen ziehen vorbei – und wir sind einfach nur glücklich. In der Dunkelheit kehren wir zurück zu unserer Hütte und Haustieren – bereit für die nächste Runde Inselabenteuer.

Solange die Stille währt
Bevor wir die Insel verlassen, gönnen wir uns noch einen letzten Schwumm im türkisblauen Meer – Abschied mit Stil. Am verlassen wirkenden Fischerhafen treffen wir auf einen ausgewanderten Europäer, der einiges zu erzählen hat: Strom gibt es auf Koh Rong erst seit Oktober 2023. Davor lief alles über Generatoren, Kühlschränke gab es keine – und als der erste endlich kam, wurde das mit einer grossen Party gefeiert. Der Strom kommt mittlerweile aus Thailand und ermöglicht ganz neue Möglichkeiten. Seit Corona wurde eine Art Strasse (naja, ein Betonpfad) gebaut, und mit ihr kamen erste Luxusresorts – wie das, in dem wir neulich essen waren. Chinesische Firmen kaufen wohl immer mehr Land, Gruppentourismus nimmt zu, ein Flughafen und ein Krankenhaus sind geplant. Und plötzlich wird einem klar: Auch dieses fast unberührte Inselparadies wird nicht ewig so bleiben.
Fun Fact zum Schluss: Koh Rong wurde durch die TV-Show „Naked Survival“ bekannt – da wurden Abenteurer per Helikopter ausgesetzt, die wochenlang nackt im Dschungel überleben mussten. Wir sind dann doch lieber beim Frühstück mit Meerblick geblieben.
Eine Fähre, ein paar Snacks – und schon sitzen wir im Minivan nach Phnom Penh. Drei Stunden Fahrt, in denen wir uns trotz einer ganzen Woche gemeinsamer Reise immer noch nonstop unterhalten können. Während wir plaudern, freuen wir uns insgeheim auf das grosse Highlight des Tages: eine ordentliche Dusche im Hotel, das wir uns für eine Nacht gönnen. Ob ich zu meiner ersehnten Dusche gekommen bin und was mich sonst noch in der Hauptstadt von Kambodscha erwartet hat, erfährst du im dritten und letzten Teil meiner Kambodscha-Serie.
(c) Alle Bilder hat Jannina Stüben bei ihrer Reise gemacht. Titelbild von Unsplash.