mycation-Redaktorin Jenny hat sich auf eine spannende Reise begeben und Kirgistan erkundet. Zwischen dramatischen Gebirgsketten, einsamen Tälern und dem tiefblauen Issyk-Kul-See erlebte sie die endlose Natur und die herzliche Kultur dieses Landes. In ihrem Reisebericht über «das Land der nomadischen Freiheit» teilt sie beeindruckende Landschaften und ihre mythologischen Legenden.
Nachdem mein Freund und ich nach Kasachstan gereist sind und dort ein Auto ausgeliehen hatten, führte uns der Weg weiter in das benachbarte Kirgistan. Für uns war schnell klar: Das ist einer der schönsten Flecken der Welt. Geprägt von Nomadenkultur und wildromantischen Pferdeherden, handelt es sich bei Kirgistan um eine Destination, die von unberührter Natur strotzt und wo Tourist:innen weitestgehend alleine sind.
Karakol-Tal: Flüsse und Berge
Auf unserem Weg durch Kirgistan wurde die Landschaft immer abwechslungsreicher: sanfte Hügel, gelb leuchtende Lerchen, türkisfarbene Flüsse und imposante rote Felsen begleiteten uns. Die Strassen waren menschenleer, und immer wieder hielten wir an, um die Ruhe und die Ausblicke zu geniessen.
Vor den Toren der Stadt Karakol erstreckt sich ein malerisches Tal mit rauschenden Flüssen und majestätischen Bergen. Der Name ‚Karakol‘, was ‚schwarze Hand‘ oder ‚schwarzer Fluss‘ bedeutet, geht auf eine Legende zurück: Die ersten russischen Siedler bemerkten, dass die Erde hier ihre Hände schwarz färbte – ein Symbol für die geheimnisvolle Kraft dieser Region.
Hintergrund
Kirgistan kämpft mit zahlreichen Herausforderungen. Das Durchschnittseinkommen liegt bei 250 Franken im Monat. Ländliche Regionen liegen häufig weit unter diesem Schnitt. Viele Haushalte sind auf Nebeneinkünfte angewiesen, insbesondere aus der Landwirtschaft oder durch Überweisungen von im Ausland lebenden Familienmitgliedern. Zahlreiche Kirgisen arbeiten in Ländern wie Russland teilweise unter schwierigen Arbeitsbedingungen, um ihre Familien zu unterstützen. Aber auch China hat grossen Einfluss auf Kirgistan. Das kleine zentralasiatische Land ist seit dem Zerfall der Sowjetunion abhängig von China, das 40 Prozent der Auslandsverschuldung trägt. Ausserdem sind Strassen und Energieprojekte oftmals durch China finanziert.
Jeti Oguz: Sieben versteinerte Ochsen
Jeti Oguz ist eines der Wahrzeichen Kirgistans. Die riesigen roten Felsen sollen sieben liegende Stiere darstellen. Der Mythos besagt, dass einst ein habgieriger Khan die Frau seines Rivalen entführte. Es kam zum Krieg zwischen den beiden Völkern. Als der betrogene Khan die Rückkehr seiner Geliebten forderte, suchte der Entführer Rat bei einem Weisen. Dessen grausamer Vorschlag: Die Frau zu töten, damit sie niemandem gehört. Nach sieben Tagen Festmahl, bei dem täglich ein Stier geschlachtet wurde, vollstreckte der Khan die Tat. Doch das vergossene Blut der Frau hatte eine transformative Macht: Es färbte die Felsen rot, während heisse Wasserströme ins Tal strömten und den bösen Khan vernichteten.
Es gibt eine Plattform, von welcher aus man die Felsformation beobachten kann. Hier kommen immer wieder Reisebusse an. Wenn man aber weiter hochwandert, ist man weitestgehend alleine und hat die wunderschöne Aussicht für sich. Vorsicht: Die Wege sind nicht gesichert. Doch wenn eine Kuh es da hoch schafft, dann auch wir, dachten mein Freund und ich uns. Hat geklappt, war aber sehr anstrengend. Die Aussicht ist es aber Wert gewesen.
Insider-Tipp
Habt unterwegs immer etwas zu Essen dabei. Ihr wisst nicht, wann der nächste Einkaufsladen auftaucht und was es dort gibt. Wir hatten immer Instantnudeln und einen Wasserkocher dabei. Perfekt, um in der Natur eine Pause einzulegen.
Issyk-Kul: Tränen eines Volkes
Der Issyk-Kul ist der zweitgrösste Gebirgssee der Welt. Mit 6.236 km² Fläche ist er 11,6 Mal so gross wie der Bodensee. Er erinnert mehr an das Meer, wenn man am Ufer steht, ist aber voller Süsswasser. Der Sand an der Küste ist natürlichen Ursprungs, teilweise rot, teilweise gelblich. Je nach Wetter sieht man die Berge auf der anderen Seeseite. Entlang der Küste gibt es nicht viele Städte, aber immer wieder kleine Orte mit Glampingunterkünften oder Jurten. Im Sommer ist hier Hochsaison, im September, als wir dort waren, herrschte Leere.
Unter Wasser befinden sich etwa zwölf alte mittelalterliche Gebäude und viele historische und kulturelle Schätze aus dem 1. Jahrtausend nach Christus, die versunken sind. Doch der Issyk-Kul ist auch Mittelpunkt mehrerer Legenden. Einer davon: Die junge Frau Cholpon wurde von den jungen Männern Ulan und Santash umworben. Ihre Rivalität drohte, den Zusammenhalt des Stammes zu zerstören. Um den Frieden wiederherzustellen, nahm sie ihr Schicksal selbst in die Hand und entriss sich das Herz aus der Brust. Die Tränen ihres Volkes, erfüllt von Trauer und Reue, flossen zusammen und formten den Issyk-Kul-See. Die beiden Rivalen, überwältigt von ihrem Verlust, verwandelten sich in Winde, die bis heute über den See fegen und Stürme hervorrufen.
Insider-Tipp
Rund um den See gibt es Jurten, Ferienhäuser, Hotels und Glamping-Unterkünfte. Wir haben über booking.com diese wunderschöne «Bubble» am See gefunden, die modern eingerichtet war und einen perfekten Rückzugsort am See bot. Der grosse Vorteil im Vergleich zu Jurten: Es gibt eine private Toilette und eine Dusche mit warmem Wasser.
Skazka: Land der Drachen und Kreaturen
Wer sich im Grand Canyon in Arizona über die Touristenströme nervt, kommt in Kirgistan voll und ganz auf seine Kosten. Der Canyon «Skazka», (auf Russisch Märchen), reicht 5 Kilometer weit und bildet ein wunderschönes Zusammenspiel aus gelben, roten und weissen Farben. Die Felsformationen erinnern an Drachen und Burgen. Natürlich gibt es auch hierzu eine kirgisische Legende.
Einst verliebte sich ein siebenköpfiger Drache unglücklich in ein Mädchen aus einer wohlhabenden Stadt im Tal. Doch sie wollte nichts von ihm wissen. Aus Verzweiflung verfluchte er den Ort: Bei jedem Vollmond sollten die Brunnen überfluten, bis das Mädchen die Liebe des Drachen erwidern würde. Um sich zu schützen, verschlossen die Bewohner die Brunnen mit goldenen Deckeln und so überlebten alle. Doch eines Tages vergass das Mädchen einen Brunnen, und die Stadt wurde überflutet – der Issyk-Kul-See entstand. Als der Drache erwachte und die Zerstörung sah, erstarrte er aus Trauer zu Stein und versteinerte auch andere Menschen und Tiere. Noch heute kann man sie in den Formationen des Canyons erahnen.
Insider-Tipp
Bucht eine Unterkunft in Tosor, die kleine Stadt ist nur eine kurze Fahrt von 20 Minuten vom Canyon entfernt.
Es gibt mehrere Wanderungen im Canyon, man kann aber auch auf eigene Faust durch die Wege laufen. Auch wenn es keine Absperrungen gibt, sollte man nicht auf alle Canyons klettern, um die Natur zu schützen. Wer dem Wanderweg folgt, geniesst am Ende die perfekte Aussicht über den Canyon und sieht im Hintergrund auch noch den Issyk-Kul-See.
Bischkek: Sowjetischer Charme und Tradition
Bischkek ist die Hauptstadt Kirgistans und hat diese Bezeichnung erst seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 erlangt. Ursprünglich entstand sie als Handelsstation an der legendären Seidenstrasse. Über Jahrhunderte hinweg entwickelte sie sich zu einem kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum. Während der Sowjetzeit erlebte Bischkek tiefgreifende Veränderungen: Breite Boulevards, grosszügige Parks und funktionale Gebäude prägen bis heute das Stadtbild. Die sowjetische Architektur, mit ihrem Mix aus Monumentalität und Pragmatismus, hat Spuren in der Stadt hinterlassen.
Doch obwohl die Stadt moderner ist, als der Rest des Landes, fühlt sich Bischkek an, wie eine andere Welt. Die Strassen sind chaotisch, Nachts kaum beleuchtet, überall ist es staubig und die Autos sind teilweise komplett demoliert. Auf dem Osch Basar wird dieses Chaos spürbar. Hier ist es laut, Tausende Menschen tummeln sich von Stand zu Stand, alle buhlen um Kund:innen. Im Hauptgebäude gibt es sechs Etagen, die mit Rolltreppen verbunden sind. Lautsprecherdurchsagen informieren darüber, welche Etagen welche Angebote bereithalten. Von Lebensmitteln und Pflanzen über Gold bis hin zu Möbeln ist hier alles zu finden. Im Osh Basar shoppen vor allem Locals. Als Tourist:in ist es wahnsinnig faszinierend, zu sehen, was und wie eingekauft wird.
Insider-Tipp
Kirgistan und Kasachstan haben eine sehr ähnliche Küche. Nirgends gibt es so gutes Laghman (Nudeln mit Gemüse und Fleisch) wie in Kirgistan. Auch Manti, Kompott und Schaschlik stehen auf jeder Speisekarte. Auf Kaffee kann man hier getrost verzichten (ist nicht sonderlich fein), dafür schmeckt der Tee richtig gut. Und: Tschak-Tschak vom Markt ist ein Muss.
Chui-Gebirge: Bergluft und Stadtaussicht
Die Stadt ist sicher gut, um ein paar Vorräte zu besorgen und das Nötigste zu erledigen, doch wir wollten unbedingt noch weiter in die Berge. Im Chui-Gebirge wurden wir fündig. Hier ist das ganze Jahr über Saison. Im Sommer campen Menschen, im Winter kann man Ski fahren.
Wir buchten eine Ferienwohnung in den Bergen. Die Alto Cabins bieten auf zwei Etagen ein gemütliches Bett mit Balkon, eine Küche, ein Wohnzimmer und ein Essbereich. Von den grossen Fenstern und privaten Terrassen eröffnet sich ein atemberaubender Panoramablick auf die Berggipfel und die Stadt Bischkek. Das Abendessen ist ein absolutes Highlight, wenn auch etwas teurer als im Rest des Landes. Egal ob nebelverhangen oder mit Sonnenschein: Die Bergluft tat uns einfach gut und machte den perfekten Abschluss zu unserer Reise durch Kirgistan.