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„Danke, dass du mein Land besuchst. Ich hoffe, du wirst es lieben“, sagt mir mein Guide bei einer Free Walking Tour in San Salvador. Wenig später schüttelt mir sein Kollege die Hand und lobt die Tour meines Guides. Kein Konkurrenzdenken. Nur Stolz. 

Mit glänzenden Augen führt mich Dave über drei Stunden lang durch seine Heimatstadt, zeigt strahlend seine Lieblingsorte, verknüpft mit persönlichen Geschichten aus einer Zeit, als das Land von Gewalt und Unsicherheit geprägt war. „Früher kam ich nie in diesen Park. Die Gefahr durch die Gangs war zu gross. Heute bin ich abends mit Touristen hier. Das ist doch verrückt“, erzählt er ganz aufgeregt. Verabschiedet werde ich mit den Worten: „Jetzt bist du offizielle Ambassador von El Salvador. Erzähle den Leuten in der Schweiz von deinen Erlebnissen.“ Gesagt, getan. Willkommen zu meinem Bericht aus einem Land, das seine Gäste mit echtem Enthusiasmus empfängt und mit einem Rucksack voller Geschichten verabschiedet.

Der Palacio Nacional in San Salvador.

Costa Rica, Bali und die Schweiz auf engem Raum? 

Früher hiess El Salvador Kuskatán – „Land der vielen Juwelen“, wie es die Pipil, ein indigenes Volk, nannten. Und tatsächlich funkelt dieses kleine Land heute wieder: mit Vulkanpanoramen, Surfspots und mit dem Gefühl, dabei zu sein, wenn etwas Neues entsteht. Die üppige Natur könnte aus Costa Rica stammen, die Surfstrände wecken Erinnerungen an Bali, das Flair der Bars und Boutique-Hotels ähnelt Tulum, manche Wasserfälle wirken fast wie in der Schweiz – und trotzdem ist El Salvador ganz anders und absolut einzigartig.

Der Wasserfall Tamanique bei El Tunco.

Vom gefährlichsten Land der Welt zum Reiseziel mit Zukunft

Noch 2015 führte El Salvador die Liste der gewalttätigsten Länder ausserhalb von Kriegsgebieten an. Seit 2019 hat Präsident Nayib Bukele das Land mit harter Hand umgekrempelt: Ein riesiges Hochsicherheitsgefängnis, Massenverhaftungen von mutmasslichen Bandenmitgliedern, der Ausnahmezustand, der seit über zwei Jahren gilt. Gewaltverbrechen gingen drastisch zurück. Laut aktuellen Statistiken ist El Salvador heute das sicherste Land Lateinamerikas. Für viele Salvadorianer:innen ist das ein Befreiungsschlag. Der Tourismus wächst rasant – und mit ihm die Hoffnung auf ein neues Image.

Diese Marktstrasse gehörte vor einigen Jahren zu den gefährlichsten Orten in San Salvador.

Doch was bedeutet dieser Boom für uns Reisende? Und wie fühlt es sich an, in einem Land unterwegs zu sein, das touristisch gerade erst erwacht? Als Reisende fühle ich mich in El Salvador durchgehend sicher. Ich laufe nachts allein durch Städte, nehme öffentliche Busse, habe mein Handy meist in der Hand, statt in der Handtasche. Das alles habe ich in anderen lateinamerikanischen Ländern wie Brasilien oder Peru vermieden. Fast schon fühlte ich mich so sicher, wie in der Schweiz, aber mit stets wachsamem Blick.

Das Chaos der ersten Gäste und Mitgestaltungsmöglichkeiten

Als ich im Hotel Pupa im Dorf El Tunco einchecken will, suche ich vergeblich nach der Rezeption. „Gibts noch nicht“, sagt mir ein junger Mann, der gerade eine Bohrmaschine in der Hand hält. Das Hotel ist eines von vielen neuen Bauprojekten in El Tunco. Es ist erstmals als Pilotprojekt für einige Wochen geöffnet und ich gehöre zu den ersten Gäst:innen. „Wir haben die Schlafsäle leider überbucht, aber du bekommst gemeinsam mit einem anderen Gast ein Privatzimmer“, erzählt mir der Mitarbeitende, als es mit dem Check-in im TV-Raum klappt. 

Ich setze mich auf ein Sofa und schreibe am Guatemala-Guide, als mir der Bohrmaschinen-Typ plötzlich einen Tisch hinschiebt. Er stellt sich als einen der Investoren vor und erzählt mir von seinen Plänen. „Da vorne bauen wir eine Yoga Shala und bieten hier künftig Surfkurse an“, sagt der knapp 30-Jährige. „Baut doch auch noch ein Co-working“, schlage ich prompt vor und deute auf den leeren Raum neben wir. „Ja, das ist eine hervorragende Idee. Wir möchten vielleicht auch noch E-Commerce Kurse anbieten“, erzählt der Mann euphorisch. Mit dem Tisch und meinem Laptop halten mich gleich mehrere Gäste für die Rezeptionistin und ich weise sie schmunzelnd in den TV-Raum zum Einchecken.

Janina im brandneuen Pupa Hotel in El Tunco.

Die Herzlichkeit der Einheimischen

In El Salvador bist du als Tourist:in Pionierin. Einheimische halten dich womöglich noch als kleines Wunder. Das wird mir einige Tage später in La Unión klar, als ich mit meinem ganzen Gepäck in Richtung Busbahnhof unterwegs bin. Neben mir hält plötzlich ein Auto. „Was machst du denn hier?“ – „Ich reise durch El Salvador und nehme gleich den Bus nach San Salvador“, erklärte ich in der Annahme, dass mein Handgepäckkoffer und Rucksack selbsterklärend seien. „Ach wirklich? Du bist also eine Touristin?“ Das Ehepaar im Auto schaut mich mit erstauntem Blick an. Ich nicke. „Kennst du denn schon San Miguel? Das liegt auf dem Weg und wir fahren gerade dorthin. Wir zeigen dir die Stadt gerne.“ Jetzt bin ich diejenige, die erstaunt ist. Ich zögere und lehne das Angebot ab, da ich als Solo-Reisende bei fremden Menschen per se nie ins Auto einsteige.

Die Beschilderung fehlt und ich kann die Haltestelle leider nicht finden. Ein älterer Herr begleitet mich, ohne zu zögern. Geduldig wartet er mit mir auf den Bus. Wir kommen ins Gespräch und er erzählt mir voller Stolz, wie ihm Touristen sagten, dass Barcelona nun viel gefährlicher sei als El Salvador. „In Barcelona werden dauernd Wertgegenstände gestohlen. Bei uns gibt es kaum Diebstähle.“ Als nach etwa 45 Minuten der Bus kommt, will ich dem Herrn als Zeichen der Wertschätzung einen Geldschein in die Hand drücken. Er winkt ab. „Auf keinen Fall. Eine gute Reise durch mein Land. Geniesse es!“

Der öffentliche Bus in El Salvador kostet nur ein paar Rappen.

Was kostet der neue Frieden?

So beeindruckend die neue Sicherheit in El Salvador ist, so spürbar sind auch ihre Schattenseiten. Präsident Bukele inszeniert sich selbstironisch als „coolster Diktator der Welt“ – doch hinter dem Witz steckt ein autoritärer Führungsstil, der kritische Stimmen zunehmend zum Schweigen bringt. Investigative Medien haben das Land verlassen, Journalist:innen berichten von Überwachung und Einschüchterung. Wer einfach reisen, surfen oder Land und Leute entdecken will, wird davon kaum etwas mitbekommen – im Gegenteil: Noch selten habe ich mich als Besucherin so willkommen gefühlt wie hier. Doch wer genauer hinsieht und Fragen stellt, merkt schnell: In El Salvador wird längst nicht alles gerne thematisiert.

Die Nationalbibliothek Binaes mit dem El Salvador Schriftzug.

Geh jetzt oder vielleicht nie

El Salvador ist in vielem noch anders als die typischen Touristendestinationen. Keine All-Inklusive-Resorts, keine Strandverkäufer, die einem Armbändeli oder gefälschte Markentaschen andrehen wollen. Man kann in Ruhe surfen, spazieren oder einfach nur am Strand sitzen, ohne alle fünf Minuten unterbrochen zu werden. El Salvador ist kein klassisches Ferienland. Es ist ein Abenteuer. Ein Land, das sich neu entdeckt und dich dabei mit offenen Armen empfängt. Du wirst Fehler verzeihen müssen. Du wirst improvisieren. Aber du wirst mit Geschichten heimkehren, die du in Bali oder Cancún längst nicht mehr erlebst. Und du wirst Menschen treffen, die sich ehrlich freuen, dass du da bist.

Wenn du das Gefühl haben möchtest, ein Ort sei gerade erst dabei, sich zu öffnen – El Salvador ist dieser Ort. Aber nicht mehr lange.

Janina Marisa Schenker

Meine ideale Vacation ist die Connectioncation. Am glücklichsten bin ich, wenn ich mit Einheimischen in Verbindung trete und tief in ihre Kultur eintauche. Für mycation entdecke ich als reisende Journalistin die Geheimtipps und versteckten Juwelen Lateinamerikas und der Welt.

Früher gefürchtet, heute gefeiert Geheimtipp El Salvador: Mein persönlicher Guide

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Janina Marisa SchenkerJanina Marisa Schenker13. Juli 2025
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